Sabine Boscheinen
Unendliches Sprechen
Zum Verhältnis von "conversation" und "écriture" in Marcel Prousts 'A la recherche du temps perdu'

Band 2, 1997, VIII, 170 Seiten
EUR 24,80
ISBN 978-3-86057-522-2
Reihe: Siegener Forschungen zur romanischen Literatur- und Medienwissenschaft


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Als herausragendes Charakteristikum der Texte der Recherche ist das inflationäre Sprechen anzusehen, das vor allem in den schier endlos langen Konversationspassagen beobachtbar wird. Die Untersuchung weist nach, daß eine Analogie zwischen dem "unendlichen Sprechen" in der Salonkonversation und dem "unendlichen Schreiben" besteht, insofern die Proustsche Schreibweise strukturelle Merkmale des inflationären Sprechens in der Salonkonversation erkennen läßt. Bei der kritischen Auseinandersetzung mit der bereits vorhandenen Forschungsliteratur zur Konversation in Prousts Recherche fällt auf, daß die kommunikative Leistung der Salonkonversation an der kommunikativen Leistung lebendiger Rede gemessen wird. Dieser wiederum wird die Möglichkeit der Produktion authentischer Mitteilungsformen unterstellt. Wird der Text auf die Frage nach dem Verhältnis von écriture und Salonkonversation hin gelesen, erscheint Authentizität nicht mehr unproblematisch behauptbar, weil deutlich wird, daß der Text seine eigenen Konstruktionen mitreflektiert. Authentizität wird als konstruierter Effekt sichtbar und aus diesem Grund als Maßstab für écriture und Konversation fragwürdig. Die Salonkonversation, so wie sie sich in der Recherche darstellt, ist eine an schriftlichen Vorgaben orientierte Kommunikationsform, deren Dynamik die vorliegende Untersuchung zu ihrem Gegenstand hat. Die Bedeutung der schriftlichen Vorgaben, die die Salonmitglieder dazu befähigen, sich auf dem Parkett mondäner Geselligkeit richtig zu bewegen, zeigt sich vor allem in der Verwendung von Gemeinplätzen als iterativem und stereotypem Sprachmaterial, das eher konzeptioneller Schriftlichkeit denn Mündlichkeit entspricht, und am gekonnt richtigen Zitieren von Literatur zur Vermeidung von Kommunikationsrisiken in der Salonkonversation. Die richtige Plazierung von Gemeinplätzen und Zitaten in der Konversation wird dadurch nicht unter einem kommunikationstechnischen Aspekt interessant, den es zu erörtern gilt.
Es zeigt sich außerdem, daß sich über das literarische Zitat Möglichkeiten eines ironisch angelegten intertextuellen Spiels eröffnen. So wird deutlich, daß Proust in spielerischer Weise mit der Formelhaftigkeit und sogar mit der Stereotypie konversationellen Sprechens umgeht und die daraus resultierenden kommunikativen Potentiale für seine eigene Schreibweise aktiviert.


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Letzte Änderung: 26.11.2016 10:12:00

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