Mit Beiträgen von Daniel Schüller und Irene Mittelberg, Rafael Mollenhauer, Claus Schlaberg,
Thorsten Roelcke und Katharina Mucha



Mai 2018, Band 38, Heft 3-4/2016, 160 Seiten, kart.
EUR 65,00
ISBN 978-3-95809-667-7


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Aus dem Inhalt:

 

Daniel Schüller / Irene Mittelberg: Diagramme von Gesten: Eine zeichentheoretische Analyse digitaler Bewegungsspuren

 

Summary. This paper presents a semiotic investigation of how diagrams are produced and used in empirical, motion-capture based gesture research for the purposes of representation and analysis of co-speech gestures. First, we discuss the notion of diagram, drawing on Peircean semiotics and more recent accounts of diagrammatic thinking, and traditional ways of recording and representing co-speech gestures. We then employ analytic tools stemming from semiotic theory to a) account for the notational procedures used in motion-capture technology and b) offer a diagrammatic interpretation of the signs resulting from them. Our hypothesis is that motion-capture diagrams are products of operative diagrammatic processes and that they are comparable with empirical measurements. The “epistemic force of the trace” (Krämer 2011) consists in the iconic visualization of movement trajectories which become perceptual gestural gestalts through projecting an indexical sign onto a coordinate system that virtually structures gesture space. We further highlight diagrammatic processes underpinning co-speech gestures themselves, which may be visualized as holistic gestalts with the help of optical motion-capture technology. These cognitive-semiotic processes manifest themselves dynamically and spatially through embodied image schemas, relational representations of abstract concepts, and gestural diagrams based on mental maps (for example, when conversational partners are jointly planning a journey).

 

Zusammenfassung. Dieser Beitrag versucht eine zeichentheoretische Untersuchung von Diagrammen, wie sie im Rahmen der motion-capture-gestützten, empirischen Gestenforschung zur Repräsentation und Analyse redebegleitender Gesten erzeugt und verwendet werden. Nach Vorüberlegungen zum Diagrammbegriff und einer Darlegung herkömmlicher Mittel der visuellen Repräsentation von redebegleitender Gestik, folgt eine zeichentheoretische Analyse des Motion-Capture-Verfahrens und deren diagrammatisch-semiotische Interpretation. Motion-Capture-Diagramme sind, so unsere Hypothese, das Produkt eines diagrammatischen Verfahrens, welches als empirische Skala zu deuten ist. Die „Erkenntniskraft der Linie“ (Krämer 2011) liegt hier in der ikonischen Visualisierung von Trajektorien, welche durch die Projektion eines Indexes auf ein Koordinatensystem zu Perzeptionsgestalten von Gesten werden. Weiterhin erörtert dieser Beitrag diagrammatische Prozesse in Gesten selbst, welche das eingangs diskutierte System als holistische Gestalt sichtbar machen kann. Diese Verfahren finden ihren räumlich-aktionalen Niederschlag u.a. sowohl in verkörperten Bildschemata, in der relationalen Repräsentation von Abstrakta, als auch in Gestendiagrammen basierend auf mentalen Karten, wie sie z.B. bei der Planung von Reisen in der Face-to-Face-Kommunikation im Gestenraum entstehen.

 

 

Rafael Mollenhauer: Von subhumaner zu humanspezifischer Interaktion: Tomasello und die Qualität des Zeigens

 

Summary. Michael Tomasello, whose research is increasingly recognized in socio-theoretical discourses, describes deictic gestures as the crucial milestone on the way from animal interaction to specific human forms of interaction. On a mentalistic principle, he does not shy away from comparing the pointing gesture to language and from defining the deictic gesture as ontogenetic and phylogenetic earliest form of specific human cooperative communication. This article initially shows that the expression-theoretical construction of the research program creates contradictions and circularities. With reference to Karl Bühler’s works, a semiotic analysis of Tomasello’s examples of the special quality of pointing gestures is provided. This approach also casts a new light on Tomasello’s explanation of the transition to verbal language and argues that Tomasello’s theoretical construction hardly yields reliable statements according to social interaction as a process and to the emergence of cognitive capacities and communication means, but that his findings on the actual cognitive capacities of children and nonhuman primates could additionally be taken into account to unlock the secret of the origins of language.

 

Zusammenfassung. Die zunehmend auch in sozialtheoretischen Diskursen beachtete Forschung Michael Tomasellos erhebt deiktische Gesten zum entscheidenden Umschlagpunkt zwischen animalischen und spezifisch menschlichen Interaktionsformaten. Auf einer mentalistischen Grundlage scheut Tomasello nicht davor zurück, das Zeigen qualitativ gleichzusetzen mit der gesprochenen Sprache und es zur ontogenetisch und phylogenetisch frühesten Form humanspezifischer kooperativer Kommunikation zu erklären. In diesem Beitrag sollen zunächst aus der ausdruckstheoretischen Anlage des Forschungsprogramms resultierende Widersprüche und Zirkularitäten aufgedeckt werden, um anschließend unter Zuhilfenahme der Arbeiten Karl Bühlers eine funktionalistische Analyse der von Tomasello in verschiedenen Beispielen dargelegten deiktischen Qualität vorzunehmen, die auch ein neues Licht wirft auf Tomasellos Erklärung des Übergangs zur gesprochenen Sprache. Abschließend wird gezeigt, dass Tomasellos Ansatz kaum verlässliche Aussagen zur sozialen Praxis sowie zur Genese von kognitiven Vermögen und Kontaktmitteln generiert, dass seine Erkenntnisse zur kognitiven Leistungsfähigkeit von Kindern und nichtmenschlichen Primaten aber unterstützend hinzugezogen werden sollten, um den tatsächlichen Übergang zur menschlichen Sprache näher zu entschlüsseln.

 

 

Claus Schlaberg: Was heißt „Vorhandensein“? Die kulturwissenschaftliche Relevanz einer Klärung

 

Summary. This contribution builds on the idea of integrating truth-fulfilling entities into a truth-conditional semantics. It asks which kind of truth conditions are to be considered for statements of something being really there – as opposed to just being an intentional object. The adverbial theory of perception treats experiences, for example appearances (visual experiences), as ‘adverbially’ classified. As a further approach towards how an object is related to its appearance (being experienced visually), semantical externalism is considered. On this basis, it is proposed that the notion of existence can be understood as a disposition to be experienced: y being really there is explicated as a disposition to experiences that are adverbially characterized as y-experiences. This approach helps to understand the different perspectives of the natural sciences and the arts and humanities. While the natural sciences are directed towards y, the arts and humanities primarily deal with y-experiences.

 

Zusammenfassung. Dieser Beitrag baut auf der Idee auf, Wahrmacher in eine Wahrheitsbedingungen-Semantik zu integrieren. Speziell geht er der Frage nach, Wahrheitsbedingungen welcher Art für Aussagen in Frage kommen, die einer Sache Vorhandensein – im Unterschied dazu, bloßes intentionales Objekt zu sein – zuschreiben. Die adverbiale Theorie der Wahrnehmung behandelt Erleben, zum Beispiel Erscheinungen (visuelles Erleben), als ‚adverbial‘ klassifizierbar. Als weiterer Ansatz zur Charakterisierung des Verhältnisses einer Erscheinung (visuelles Erleben) zu dem jeweils Erscheinenden wird der semantische Externalismus berücksichtigt. Auf dieser Grundlage wird Vorhandensein von y als Disposition zu y-Erleben begriffen: Dass y vorhanden ist, wird als Disposition zu solchem Erleben verstanden, das adverbial als y-Erleben charakterisiert ist. Dieser Ansatz trägt dazu bei, die verschiedenen Perspektiven der Naturwissenschaften und der Kulturwissenschaften verständlicher zu machen. Naturwissenschaften sind auf y gerichtet, während die Kulturwissenschaften vor allem y-Erleben thematisieren.

 

 

Thorsten Roelcke: Exaktheit – Eindeutigkeit – Eigentlichkeit: Zur semiotischen Explikation terminologischer Grundeigenschaften

 

Summary. The terminological properties of exactness, uniqueness and authenticity can be related to each other on the basis of Ogden and Richard’s semiotic triangle. With respect to meaning, expression, and reality they have to be understood as referential, semantic, and motivated comprehensibility of terms. They are conceptualized in different ways within the framework of an inventory model in the tradition of system-oriented linguistics, a context model in the tradition of pragmalinguistics, and a functional model in the tradition of cognitive linguistics. Exactness, uniqueness and authenticity are systematically postulated, pragmatically analyzed, or cognitively interpreted. Argumentatively and historically, the approach demonstrates a dialectical relationship between the three models.

 

Zusammenfassung. Die terminologischen Eigenschaften Exaktheit, Eindeutigkeit und Eigentlichkeit können anhand des semiotischen Dreiecks von Ogden und Richards erfasst und aufeinander bezogen werden: Mit Blick auf Bedeutung, Ausdruck und Wirklichkeit erweisen sie sich dabei als referentielle, semantische und mentale (motivierte) Unmissverständlichkeit von Termini. Sie werden im Rahmen eines systemlinguistischen Inventarmodells, eines pragmalinguistischen Kontextmodells und eines kognitionslinguistischen Funktionsmodells jeweils unterschiedlich konzipiert. Exaktheit, Eindeutigkeit und Eigentlichkeit werden systemlinguistisch postuliert, pragmalinguistisch analysiert oder kognitionslinguistisch interpretiert. Argumentativ wie historisch zeigt sich hierbei ein dialektisches Verhältnis der drei Modelle.

 

 

Katharina Mucha: Binäre Diskurskonstruktionen als mentale Realitäts- und Möglichkeitskonstruktionen – exemplifiziert am ‚Dramatischen Dialog‘ des 16. bis 18. Jh.

 

Summary. This contribution explains the notion of discourse constructions, and presents aspects of the analysis of two binary discourse constructions, wer p, (der) q and wenn p, (dann/so) q. These binary constructions serve to define relations between elements on the basis of the conditional schema but in different ways, namely as an objective reality or as a possibility that needs to be evaluated, respectively. The conception of discourse constructions is related to Mental Space Theory, which considers knowledge structures as representations that are being integrated, selected, composed, and elaborated within mental spaces during interactions. Depending on the space builder, different inferences are drawn that point to social practices either as quasi objective or as negotiable. The cognitive approach of constructional grammar is combined with the philosophical question of how the self and its realities become visible through social interaction. Evidence from a corpus of 16th to 18th century drama is presented that supports the theoretical assumptions.

 

Zusammenfassung. Der Beitrag skizziert die Konzeption von Diskurskonstruktionen und stellt Aspekte der Analyse von zwei binären Diskurskonstruktionen vor, wer p, (der) q und wenn p, (dann/so) q. Diese binären Konstruktionen dienen dazu, Relationen zwischen Elementen auf der Basis des Konditionalschemas zu definieren, dies jedoch in unterschiedlicher Weise, nämlich als objektiv gesetzte Realität oder als zu evaluierende Möglichkeit. Die Konzeption der Diskurskonstruktionen ist angebunden an die Mental Space Theory, nach der Wissensstrukturen als Repräsentationen in mentalen Räumen integriert, selegiert, komponiert und elaboriert werden. Je nach Aufbau der Räume ergeben sich unterschiedliche inferentielle Prozesse, die auf soziale Praktiken entweder als quasi objektiv gegeben oder verhandelbar verweisen. Der kognitiv-konstruktionsgrammatische Ansatz ist verknüpft mit der philosophischen Frage, auf welche Weise das Selbst und seine Realitäten durch soziale Interaktion sichtbar werden. Binäre Diskurskonstruktionen kommen in Dramentexten des 16. bis 18. Jh. unterschiedlich häufig vor. Evidenzen aus dem literarischen Korpus stützen die theoretischen Überlegungen.

 

Jan Georg Schneider: Christian Stetter (1943–2017) – ein Nachruf


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Letzte Änderung: 26.11.2016 10:12:00

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