Architektur, Zeichen, Bedeutung. Neue Arbeiten zur Architektursemiotik
Herausgegeben von Christoph Baumberger und Claus Schlaberg

Mai 2015, ZS, Band 36, Heft 1-2/2014, 246 S., kt.
EUR 65,00
ISBN 978-3-95809-662-2


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Aus dem Inhalt

Claus Dreyer: Neue Aspekte in der Architektursemiotik

Summary. In recent years, some major studies in architectural theory have appeared which are of great relevance for architectural semiotics, because they clarify and expand various methodological and content-related aspects, from the art or social sciences which are also examined in semiotical research. These very differently oriented studies have in common that they are based on already existing general theories, such as Goodman’s symbol theory and Luhmann’s system theory, or the structure-artefact theory, and that they have operationalized these theories so that they can be applied to architecture in investigating architectural communication and meaning processes in a new way. It is shown that the traditional approach of semiotics to architecture can (and must) be significantly differentiated and expanded. The article presents some of these developments and characterizes their theoretical impact in some central points.

Zusammenfassung. In den vergangenen Jahren sind einige größere architekturtheoretische Untersuchungen erschienen, die für die Architektursemiotik dadurch von großer Relevanz sind, dass sie verschiedene methodische und inhaltliche Aspekte, die auch in der Semiotik untersucht werden, präzisieren und erweitern. Dabei ist den sehr unterschiedlich ausgerichteten Studien gemeinsam, dass sie sich an bereits vorliegende allgemeine Gesellschafts- oder Kunsttheorien, wie Goodmans Symboltheorie, Luhmanns Systemtheorie oder die Gefüge-Artefakt-Theorie, anschließen und diese so operationalisieren, dass sie auf die Architektur angewendet und zur Untersuchung von deren Kommunikations- und Bedeutungsprozessen fruchtbar gemacht werden können. Dabei zeigt sich, dass der traditionelle semiotische Ansatz in der Architekturwissenschaft erheblich differenziert und erweitert werden kann (und muss). Der vorliegende Beitrag stellt diese Entwicklungen dar und charakterisiert ihren theoretischen Gehalt in einigen Hauptpunkten.

Jörg Gleiter: Die Präsenz der Zeichen: Vorüberlegungen zu einer phänomenologischen Architektursemiotik

Summary. Semiotics of architecture must take up the challenge that architectural signs are always material signs and as such concrete things. Unlike words they are neither arbitrary nor unmotivated signs, since they do not only refer symbolically to absent things but always constitute a spatio-material variation of the very thing they symbolize. A door is not only the sign of a door and as such a placeholder of the door, but it is always also a real door through which one can walk. As they are mainly based on linguistics or image theory the various theories of signs – to name the most prominent of Ferdinand de Saussure, Charles S. Peirce, Nelson Goodman, and Umberto Eco – only with difficulty address the specificities of architecture. They only marginally touch on architecture or fail to integrate architectural phenomena at all. In contrast, the present article sketches the outline of an epistemologically grounded triadic model of architectural signs that corresponds to the specificities of the built world and ist multifarious ways of use. The main thesis is, that there are three basic elements upon which any understanding of architectural signs is based: material, form and figure. As architectural signs do not only signify but as they are always concrete objects with a concrete function, the theory of signs can only be made successful by a phenomenological extension of the existing semiotic models.

Zusammenfassung. Die Architektursemiotik ist mit einer Schwierigkeit konfrontiert: mit der Materialität architektonischer Zeichen. Es ist charakteristisch für die Zeichen in der Architektur, dass sie im Gegensatz zu sprachlichen Zeichen keine arbiträren oder unmotivierten Zeichen sind. Sie verweisen also nicht nur auf Dinge, die sie selbst nicht sind, wie dies sprachliche Zeichen tun, sondern sind immer zugleich auch eine räumlich-materielle Variante des Dings, auf das sie verweisen. So ist eine Tür nicht nur das Zeichen und somit ein Stellvertreter für eine Tür, sondern das Objekt selbst, durch das man hindurchgehen kann. Wegen ihrer zumeist linguistischen oder bildtheoretischen Konzeption tun sich jedoch die verschiedenen Zeichentheorien von Ferdinand de Saussure und Charles S. Peirce bis Nelson Goodman und Umberto Eco schwer, diesem Tatbestand gerecht zu werden und ihn schlüssig in ihren Theorien abzubilden. Im Folgenden sollen daher das Spezifische einer Architektursemiotik herausgearbeitet und die Grundlagen für ein erkenntnistheoretisch fundiertes triadisches Zeichenmodell erarbeitet werden, das den spezifischen Charakter der gebauten Welt und ihres vielfältigen Gebrauchs mit aufnimmt. Die These ist, dass es in der Architektur drei Konstituenten des Zeichenverstehens gibt: Material, Form und Figur. Da architektonische Zeichen nicht nur bedeuten, sondern sich in besonderer Weise durch konkrete Verwendungsweisen auszeichnen, kann eine Theorie architektonischer Zeichen nur in phänomenologischer Erweiterung der bestehenden Modelle der Semiotik gelingen.

Claus Schlaberg: Bauwerke sind Bauten, die wirken sollen

Summary. Works of architecture are buildings intended to have certain internal effects on recipients. Typically, they are signs only in this very general sense. The effects they are intended to have are what it is like to experience them. Their status as works of art depends on how ambitious these intentions are and how much they are valued in art criticism. Since qualia (which are what it is like to experience them) come into play, artistic intentions are manipulative rather than communicative; this is due to the fact that qualia cannot be brought about by means of realizing intentions to bring them about. As a result, it is possible to characterize architecture by means of semiotic categories even though architecture does not belong to the center of the category of a sign.

Zusammenfassung. Bauwerke sind Bauten, mit deren Wahrnehmung bei Empfängern jeweils bestimmte Wirkungen beabsichtigt sind. Nur in diesem sehr weiten Sinne sind sie typischerweise zeichenhaft. Für Werke der Baukunst sind als Wirkungen vor allem Weisen, wie es jeweils ist, sie zu erleben, von Interesse – wobei der Kunstcharakter auch davon abhängt, wie ambitioniert und im kunstwissenschaftlichen Diskurs wertgeschätzt die mit ihnen verbundenen Ansprüche jeweils sind. Mit der Gerichtetheit der Absicht darauf, wie es ist, ein Werk zu erleben (Qualia), erweist sich die baukünstlerische Absicht als manipulativ in dem Sinne, nicht kommunikativ zu sein. Daher kann Baukunst gerade mit Hilfe semiotischer Kategorien charakterisiert werden, ohne dadurch ins Zentrum der Kategorie „Zeichen" zu rücken.

Anna Valentine Ullrich: Architektur – Zeichen – Medium: Eine Verhältnisbestimmung am Beispiel gebauter Zitate

Summary. Given ist semiotic character, architecture is closely linked to mediality. In the case of constructed architecture, mediality is characterized by materiality, reference to location, and space. The present article aims at illustrating the coherence of sign and mediality by analysing the phenomenon of quoting in constructed architecture. Both, the production and the reception of quotations are semiotic practices that are often combined with a pictorial perception of architecture. The pictoriality occurs in the sign-constituting interpretation mode of the recipient in dealing with architecture. By discussing two specific buildings it is shown that the reference of the quotation to the quoted object is achieved by means of iconic relations, whereas spolia show an indexical reference to the original building.

Zusammenfassung. Architektur ist in ihrer Zeichenhaftigkeit verbunden mit Medialität, die bei gebauter Architektur durch Materialität, Orts- und Raumbezug gekennzeichnet ist. Dieser Zusammenhang von Zeichen und Medialität wird im vorliegenden Beitrag am Phänomen des Zitierens in der gebauten Architektur aufgezeigt. Sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Zitaten besteht in semiotische Praktiken, die häufig kombiniert sind mit einer bildhaften Wahrnehmung von Architektur. Die Bildhaftigkeit tritt im zeichenkonstituierenden Interpretationsmodus des Rezipienten im Umgang mit Architektur auf. In der Diskussion zweier Bauwerke zeigt sich dabei, dass der Verweis des Zitats auf das Zitierte vorrangig über ikonische Relationen erfolgt, während Spolien einen indexikalischen Bezug zum Vorgängerbau aufweisen.

Christoph Baumberger: Gibt es architektonische Zitate?

Summary. Does architecture allow for quotations in a precise and non-metaphorical sense? To answer this question, the present contribution refers to Nelson Goodman and formulates for the clearest case, i.e. linguistic quotations, three individually necessary and collectively sufficient conditions asking whether they can be satisfied by buildings or their parts. It is argued that in most cases which architectural theorists and critics describe as architectural quotations, what in fact is present is some kind of allusion. It is proposed to weaken the conditions for architectural quotations in order to be able to describe cases as quotations which share more similarities with linguistic quotations than with linguistic allusions.

Zusammenfassung. Gibt es in der Architektur Zitate in einem präzisen und nicht-metaphorischen Sinn? Um diese Frage zu beantworten, formuliert der vorliegende Beitrag mit Nelson Goodman für den klarsten Fall, das sprachliche Zitat, drei individuell notwendige und kollektiv hinreichende Bedingungen und fragt, ob diese von Bauwerken oder Gebäudeteilen erfüllt werden können. Die Untersuchung kommt einerseits zum Ergebnis, dass in den meisten Fällen, bei denen von architektonischen Zitaten die Rede ist, vielmehr Anspielungen vorliegen. Es wird vorgeschlagen, die Bedingungen für architektonische Zitate abzuschwächen, um Fälle als Zitate beschreiben zu können, die sprachlichen Zitaten ähnlicher sind als sprachlichen Anspielungen.

Remei Capdevila-Werning: Restaurierte und rekonstruierte Zeichen: Symbole und Baudenkmalpflege

Summary. Through various interventions, architectural conservation aims at preserving, restoring and reconstructing buildings and other architectural structures. Preservationist processes not only change the appearance and physical features of a building, but also ist meaning: They have epistemological consequences, which are discussed here from a symbol-theoretical perspective within the context of Nelson Goodman’s philosophy. The examination of a series of interventions (simple cleaning and maintenance, restorations, partial and full reconstructions and also adaptive use) shows, on the one hand, that these measures are rarely neutral, and that what initially seems a simple preservation of meanings, can also entail modifications and even distortions of the original meanings. On the other hand, it is argued that there are interventions that are preferable over others based on epistemological and symbol-theoretical reasons, since they avoid deception and falsification. At stake is the veracity of interventions in architectural conservation.

Zusammenfassung. Mit diversen Maßnahmen zielt die Baudenkmalpflege auf die Erhaltung, Wiederherstellung und Rekonstruktion von Gebäuden und anderen architektonischen Strukturen. Denkmalpflegerische Prozesse verändern nicht nur das Aussehen und die materiellen Merkmale, sondern auch die Bedeutungen dieser Baudenkmale: sie haben epistemologische Folgen, die hier aus symboltheoretischer Perspektive im Rahmen von Nelson Goodmans Philosophie untersucht werden. Die Analyse verschiedener Maßnahmen (Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten, Restaurierungen, Teil- und Ganzrekonstruktionen und auch Nutzungsanpassungen) weist einerseits nach, dass diese Maßnahmen selten neutral sind und dass das, was ursprünglich als reine Bewahrung von Bedeutungen erschien, auch zu Modifizierungen und sogar Verfälschungen der ursprünglichen Bedeutungen führen kann. Andererseits wird gezeigt, dass es Maßnahmen gibt, die aus epistemologischen und symboltheoretischen Gründen vorzuziehen sind, da sie Täuschung und Irreführung vermeiden. Dabei geht es um nichts weniger als um die Wahrhaftigkeit der Interventionen in der Denkmalpflege.

Eva Reblin: Urbane Bedeutungsnetze – Bausteine zu einer kontextuellen Semiotik der städtischen Dinge

Summary. In everyday perception, the things of the city are rarely conceived as single, unconnected objects, only significant by themselves. Instead, as analyses of urban mental images indicate, the things of the city are interwoven into diverse functional, social or historical meaning networks of their spatial environment and shaped by the interpreter’s stock of knowledge and attitudes. Semiotic research on the city as a complex artefact has often focused on the urban macro level or on single highly symbolic urban elements, regarding it from a semantic point of view. In contrast, the present paper proposes a situ-ated and contextualized approach to urban meaning production. Three theoretical approaches are considered suitable to complement the semiotic perspective by modelling contextualizing processes, namely the perspective of "situated cognition", aspects of complex systems theory and actor-network theory. These are examined briefly and applied to examples from empirical research. The paper concludes by suggesting further research questions, building on a tentative synthesis of these three approaches and by discussing the specific social contextuality of urban interpretation.

Zusammenfassung. Die Dinge der Stadt werden in einer Alltagssicht weniger als einzelne, als Solitäre erfahren. Vielmehr werden sie, wie mentale Vorstellungen von städtischen Teilräumen zeigen, in unterschiedlicher Weise in Bedeutungsnetzwerke ihrer räumlichen Umgebung eingewoben, die zum Beispiel funktionaler, sozialer, historischer Art sein können und durch die Wissens- und Interessenbestände ihrer Interpreten geprägt sind. Semiotische Untersuchungen zum komplexen Artefakt Stadt haben sich überwiegend mit gesamtstädtischen Strukturen oder der Rolle symbolisch herausgehobener städtischer Orte beschäftigt und auf einer semantischen Ebene argumentiert. Dagegen wird im vorliegenden Beitrag ein Zugang vorgeschlagen, der die Situiertheit und Kontextualität von Bedeutungszuschreibungen maßgeblich berücksichtigt. Es werden drei Theorien vorgestellt und knapp exemplarisch in der Analyse eingesetzt, die die klassischen semiotischen Ansätze um eine Modellierung von Kontextualisierungsprozessen in der Interpretation städtischer Räume ergänzen können: die Forschungsperspektive der „Situated Cognition", Aspekte der Theorie komplexer Systeme sowie die Akteur-Netzwerk-Theorie. In einem Ausblick werden mögliche weiterführende, auf einer vorläufigen Synthese dieser Ansätze basierende Forschungsfragen vorgeschlagen und die spezifische soziale Kontextualität der urbanen Interpretation wird abschließend kurz diskutiert.

Bernhard Waldenfels: Zeichen und Phänomene. Phänomenologisch-semiotische Überlegungen

Summary. Both phenomenology and semiotics have to do with the basic question as to how our experience functions. But considering the fact that phenomenology tries to go back to the intuitively given things themselves, whereas semiotics stress the mediating role of signs, there remains a certain tension between both approaches. This tension leads to unbridgeable conflicts only if one side tries to dominate or to replace the other. In this case the extreme attempt to proceed ultimately without using signs clashes with the opposite presumption that basically everything is made of signs or words. However, in my view we should and can seek the so-called things themselves through the medium of signs, of words, and of pictures and so on. There is an intermediary sphere closely connected with our own body and with the relations between one’s own and the Other’s body. This basic assumption shall be tested by referring to a series of key issues like saying and showing, materiality of signs, sign and trace, sign and affect, use and creation of signs. A creative use of signs would correspond to a responsive kind of phenomenology, leaving room for singularity and otherness. We will cite on the one side authors such as Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty, Derrida and Wittgenstein and, on the other side, authors such as Bakhtin, Bühler, Jacobson and Peirce.

Zusammenfassung. Phänomenologie und Semiologie befassen sich beide mit der Frage, wie unsere Erfahrung vor sich geht. Doch aus der Tatsache, dass die Phänomenologie versucht, auf die anschaulich gegeben Sachen selbst zurückzugehen und die Semiotik umgekehrt die Vermittlungsrolle der Zeichen hervorkehrt, erwächst eine deutliche Spannung zwischen beiden Ansätzen. Diese Spannung führt zu unüberbrückbaren Konflikten, wenn eine Seite die andere zu dominieren oder zu ersetzen sucht. Der extreme Versuch, letztlich ohne Zeichen auszukommen, prallt zusammen mit der gegenteiligen Annahme, im Grunde bestehe alles nur aus Zeichen oder Worten. Nach dem Siegeszug linguistischer und semiotischer Regelungen sind es nun Gegenmotive wie Präsenz, Realität, Materialität und Gefühl, die mit dem Anspruch auf neue Unmittelbarkeit auftreten. Doch aus der Sicht einer responsiven Phänomenologie sind die sogenannten Sachen selbst nirgendwo anders zu finden als im Medium der Zeichen, und zwar in Form eines zeichenlosen Überschusses, einer „außer-ordentlichen Gegenwart", die kreative Antworten hervorruft. Den Hintergrund bildet eine Zwischensphäre aus Zeichen, Bildern, Symbolen, Medien, Praktiken, Ritualen und Techniken, die eng mit unserem Leib und mit zwischenleiblichen Bezügen verbunden ist. Diese Grundannahme wird erprobt im Anschluss an eine Reihe von Schlüsselthemen wie Sagen und Zeigen, Materialität der Zeichen, Zeichen und Spur, Zeichen und Affekt oder Pathos und Zeichenschöpfung. Zitiert werden einerseits Autoren wie Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty, Derrida und Wittgenstein, andererseits Autoren wie Bachtin, Bühler, Jakobson und Peirce.


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Letzte Änderung: 26.11.2016 10:12:00

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