Zukunftszeichen: Semiotik und Futurologie
Herausgegeben von Karlheinz Steinmüller
ZfS, Band 29, Heft 2-3/2007

ZfS, Band 29, Heft 2-3/2007
EUR 35,00
ISBN 978-3-86057-886-5


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Inhalt:

  • Karlheinz Steinmüller: Zeichenprozesse auf dem Weg in die Zukunft: Ideen zu einer semiotischen Grundlegung der Zukunftsforschung (summary/Zusammenfassung)

  • Rolf Kreibich: Wissenschaftsverständnis und Methodik der Zukunftsforschung (summary/Zusammenfassung)

  • Alexander Schmidt-Gernig: Die Geburt der Zukunftsforschung aus dem Geist der Kybernetik (summary/Zusammenfassung)

  • Stefan Jordan: Die Rede der Historiker von den „Zeichen der Zeit“: Zur Ableitung von Aussagen über die Zukunft aus der Geschichte (summary/Zusammenfassung)

  • Markus Spiwoks: Universelle stilisierte Fakten in Finanzmarkt-Prognosen (summary/Zusammenfassung)
    Einlagen

  • Franz Liebl: Trends, Trends, Trends … Orientierung im Zukunftsdiskurs (summary/Zusammenfassung)

  • Manfred Behr: Präkognition oder Prävention: Überlegungen zu einem Dilemma am Beispiel von Stephen Spielbergs Science-Fiction-Film Minority Report (USA 2002) (summary/Zusammenfassung)

  • Johannes Fehr: Kommunikation mit der Zukunft – eine Nachsendung (summary/Zusammenfassung)
    Nachruf

  • Dagmar Schmauks: In memoriam Stanislaw Lem (1921–2006)






Zeichenprozesse auf dem Weg in die Zukunft: Ideen zu einer semiotischen Grundlegung der Zukunftsforschung
Karlheinz Steinmüller, Z_punkt GmbH
Summary
.  This introductory paper discusses the various kinds of signs which are used in the exploration of the future, in the construction of images of the future, and in communication about the future.  Taking into account that “the future” is not given as an empirical object, the author argues that exploring the future means re-interpreting symptoms (which indicate present realities; “Anzeichen”) into portents (which indicate potentialities; “Vorzeichen”).  The identification of relevant portents within a multitude of symptoms is achieved by means of abduction.  Culture-specific conventions valid for signs and their uses play a crucial role in the construction of images of the future; this is analyzed by means of scenario processes.  Communicating such images through the media usually implies a de- and re-contextualization according to aesthetic codes.  With respect to self-refuting forecasts, the truth-problem for predictions is discussed.  It is shown that the so-called “paradoxes of intervention” can be dissolved semiotically.
Zusammenfassung
.  Der Beitrag befasst sich mit den unterschiedlichen Zeichensorten, die bei der Erkundung der Zukunft, der Konstruktion von Zukunftsbildern und der Kommunikation über die Zukunft Verwendung finden. Vor dem Hintergrund dessen, dass „die Zukunft“ nicht als empirisches Objekt zugänglich ist, wird argumentiert, dass bei der Erkundung der Zukunft Anzeichen (Indikatoren für gegenwärtige Realitäten) in Vorzeichen (Hinweise auf Potentialitäten) uminterpretiert werden. Voraussetzung dafür ist die Identifikation von portents (Fakten, die die Zukunft in sich tragen), die nach dem Prinzip der Abduktion geschieht. Am Beispiel von Szenarioprozessen wird analysiert, welche Rolle insbesondere kulturelle Übereinkünfte bei der Konstruktion von Zukunftsbildern spielen. In der medialen Kommunikation werden diese Zukunftsbilder ästhetisiert, d. h. dekontextualisiert und unter Beachtung ästhetischer Codes rekontextualisiert. Anhand sich selbst zerstörender Prognosen wird das Wahrheitsproblem für Vorhersagen diskutiert. Damit zusammenhängende Interventionsparadoxien können semiotisch aufgelöst werden.


Wissenschaftsverständnis und Methodik der Zukunftsforschung
Rolf Kreibich, Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung GmbH Berlin
Summary.  The present contribution distinguishes several stages in the historical attempts of humans to predict their future.  Speculative production of images of the future by astrologists and manticists, who strove to underpin singular decisions in the everyday life of their clients, began in the mid-20th century to be partly replaced by a scientific futurology, which presupposed a linear general development of humanity and tried to predict it as a whole.  In the last three decades, however, reference to “the future” (in the singular) was gradually given up in favor of reference to the various possible “futures” (in the plural).  These are conceived as parallel developmental options possibly differing widely in their parameters, out of which human societies select through their behavior in the present, whether or not they are aware of it.  The transition from a science studying the future to a science designing several futures was accompanied by an extension of the spectrum of methods used.  Their goal tended no longer to be restricted to “predicting”, but increasingly included “pre-acting” based on participation of the people involved by means of scenario techniques and other simulation procedures, “future shops” and “perspective workshops”.  This holistic practice requires an application of the “Uncertainty-Certainty Principle”, which promises to achieve precision in the design and control of the general system by admitting imprecise treatment of details.  “Futures Studies”, understood in this way, must rely on knowledge from all scientific disciplines and take into account all moral orientations, which forces them to adopt an inter- and transdisciplinary approach.
Zusammenfassung.  Der vorliegende Beitrag unterscheidet in den Bemühungen des Menschen um die Vorhersage seiner Zukunft mehrere Stadien: Auf die spekulative Produktion von Zukunftsbildern von Astrologen und Mantikern, die als Unterstützung für punktuelle Entscheidungen im Alltagsleben ihrer Kunden gedacht war, folgte seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eine mit wissenschaftlichen Methoden arbeitende Futurologie, die eine lineare Gesamtentwicklung der Menschheit voraussetzte und deren Verlauf umfassend vorherzusagen versuchte. Die Rede von „der Zukunft“ im Singular wurde in den letzten drei Jahrzehnten jedoch zunehmend durch die Rede von „den Zukünften“ ersetzt – parallel möglichen Entwicklungsoptionen von beträchtlicher Bandbreite, aus denen die menschlichen Gesellschaften durch ihr gegenwärtiges Verhalten nolens volens eine auswählen. Der Übergang von der Wissenschaft von der Zukunft zur Wissenschaft von den Zukünften war verbunden mit einer Erweiterung des Methodenspektrums, mit dem nun nicht mehr nur „Voraussagen“ sondern auch „Voraushandeln“ unter Beteiligung der Betroffenen mit Hilfe von Szenario-Techniken und anderen Simulationsverfahren, „Zukunftswerkstätten“ und „Perspektiv-Workshops“ angestrebt wurde. Dieses nicht prädiktive, sondern präaktive holistische Vorgehen erfordert ein Handeln gemäß dem „Unschärfe-Schärfe-Prinzip“, das durch unscharfe Betrachtung von Details Schärfe in das Verstehen und die Steuerung des Gesamtsystems zu bringen verspricht. Dabei ist prinzipiell Wissen aus allen Disziplinen und jede mögliche moralische Orientierung einzubeziehen, was die Zukunftsforschung zu einem inter- und transdisziplinären Ansatz zwingt.


Die Geburt der Zukunftsforschung aus dem Geist der Kybernetik
Alexander Schmidt-Gernig, Landtag Nordrhein-Westfalen
Summary.  The 60s and 70s of the 20th century were characterized by a new concern about the future, which was a consequence of unprecedented techno-scientific innovation and its socio-economic effects.  This concern manifested itself in the institutionalization of a scientific enterprise called “Future Research”, “Futurology”, or “Future Studies”, which promised to compensate the overspecialization of the various subsystems of human societies by achieving a synthesis of their knowledge and applying it in the prediction and control of future events, especially by means of political counseling.  The leading theoretical paradigm used in this enterprise was that of cybernetics, which had already proven its indispensability in the control of complex technical systems.  It fascinated both politicians and scientists by combining the role of a meta-science with direct applicability.
Zusammenfassung
.  Die 60er und 70er Jahre waren in ganz besonderer Weise durch eine Zukunftsorientierung geprägt, die sich der Wirkung tiefgreifender wissenschaftlicher und technologischer Innovationen, aber auch neuer umfassender Risiken verdankte. Diese Zukunftsorientierung manifestierte sich insbesondere in einer erstmals wissenschaftlich intendierten „Zukunftsforschung“. Ziel dieser futurologisch orientierten Politikberatung war es, im Gegenzug zur immer stärkeren (und als immer risikoreicher empfundenen) Spezialisierung der Wissenssysteme eine Art „Wissenssynthese“ zur besseren Prognosefähigkeit und damit (auch) Risikoprävention zu entwickeln und für die konkrete politische Praxis zur Verfügung zu stellen. Das zentrale Paradigma hinter diesem Ansatz bestand in der neuen Leitwissenschaft der Kybernetik. Die Faszination dieses Denkmodells rührte daher, dass mit seiner Hilfe die Steuerung hochkomplexer bzw. immer komplexerer Systeme möglich erschien und in technischen Anwendungsverfahren bereits erfolgreich umgesetzt worden war. Faszinierend erschien die Kybernetik daher vor allem in interdisziplinärer Hinsicht, da sie einerseits als eine „Metawissenschaft“ und zugleich als ein hochgradig anwendungsorientiertes Denkmodell dienen konnte.


Die Rede von den „Zeichen der Zeit“:
Zur Ableitung von Aussagen über die Zukunft aus der Geschichte
Stefan Jordan, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München
Summary.  When one conceives of historical events as “signs of the times”, one connects the focus on the past with the focus on the future.  This can be achieved in several ways.  From the view-point of Christianity, Idealist philosophy, and Marxist ideology, the “signs of the times” presage a state of humanity that is anticipated to be the final one; positivistic approaches to history, on the other hand, follow the example of the natural sciences in proceeding from antecedent conditions and using laws of nature to derive predictions about the future course of things, while the Enlightenment approach to history subjects historical prognosis to moral maxims which are treated as valid a priori.  In all these cases, taking given events as “signs of the times” amounts to integrating them into a well/established knowledge system which serves to define pre-conceived human conditions for the coming stages of human history.
Zusammenfassung. 
Die Rede von den „Zeichen der Zeit“ kann den Blick auf die Geschichte und auf die Zukunft in unterschiedlicher Weise verbinden. Für die christliche Religion, die idealistische Philosophie und die Ideologie des Marxismus deuten die Zeichen der Zeit auf einen endzeitlichen Zustand hin; positivistische Geschichtsdeutungen versuchen in Analogie zu den Naturwissenschaften, die Deutung der Zukunft aus gesetzmäßigen Notwendigkeiten herzuleiten; die „Aufklärungshistorie“ ordnet die historische Prognostik apriorischen moralischen Maximen unter. Die „Zeichen der Zeit“ sind in allen Fällen ein Beweissystem für vorab definierte Zustände in Endzeit oder Zukunft.


Universelle stilisierte Fakten bei Finanzmarkt-Prognosen
Markus Spiwoks, Fachhochschule Wolfsburg
Summary.  Forecasts for the financial market are characterized by three features:  The forecast describes the present rather than the future, it keeps within the confines of mainstream opinion, and it is completely unreliable.  A look into the future of financial markets is evidently not possible by means of the forecast instruments developed so far.
Zusammenfassung
.  Reale Finanzmarkt-Prognosen werden durch drei Charakteristika gekennzeichnet: Sie beschreiben eher die Gegenwart als die Zukunft, sie bewegen sich im schützenden Umfeld der Mehrheitsmeinung, und sie sind vollkommen unzuverlässig. Der Blick in die Börsenzukunft ist mit den bisher entwickelten Prognoseinstrumenten also offenbar nicht möglich.


Trends, Trends, Trends …
Der Zukunftsdiskurs im Wirtschaftsalltag
Franz Liebl, Universität Witten/Herdecke
Summary.  So-called “trends” are conceptualizations prone to misunderstanding.  If they are to become useful in designing marketing strategies, they must be described in a relatively differentiated manner.  Trends are most appropriately regarded as innovations in consumers’ behavior.  The two major dimensions of any innovation are its degree of novelty and its potential for diffusion.  Describing a trend’s degree of novelty requires an explanation of the contexts in which it occurs.  Describing a trend’s diffusion potential requires an assessment of the relationship it has with its countertrends.  Predictions about the results to be expected from a diffusion process can be derived on the basis of an extended lifecycle analysis for the trend which covers both the stages of its emergence and of its decline.
Zusammenfassung.
  „Trends“ müssen als hochgradig missverständliches Konzept angesehen werden und bedürfen einer differenzierten Beschreibung, wenn sie strategisch fruchtbar gemacht werden sollen. Hierfür ist es zielführend, Trends als Innovationen zu begreifen. Deren zwei wesentliche Facetten bestehen in Neuheitsgrad und Verbreitungsträchtigkeit. Um den Neuheitsgrad zu beschreiben, gilt es, die relevanten Kontexte, die in einem Trend zum Tragen kommen, zu erheben. Indizien für die Verbreitungsträchtigkeit ergeben sich aus der paradoxen Struktur eines Trends, in der sich Trend und Gegentrend miteinander verbinden. Aussagen über das Ergebnis der Verbreitung lassen sich aus einer erweiterten Lebenszyklus-Betrachtung ableiten, die nicht nur die Phasen des Ermergierens berücksichtigt, sondern die strategisch ebenso relevanten Abschwungphasen.


Präkognition oder Prävention: Überlegungen zu einem Dilemma am Beispiel von Stephen Spielbergs Science-Fiction-Film Minority Report (USA 2002)
Manfred Behr, Technische Universität Berlin
Summary. This contribution problematizes the usefulness of precognition in the context of police action. With reference to Stephen Spielberg’s science-fiction film Minority Report, a fictional program of the Washington police department is analyzed which tries to resolve cases of murder before they are committed. The results of this program are to be used to prevent predelinquents from carrying out the predicted murders. The police officers working in this program are shown to confront a dilemma exemplified by Chief Anderton: If he kills a predelinquent before the crime is committed, he thereby destroys the possibility of examining whether the prediction was valid. If he does not kill him, he jeopardizes the prevention. These considerations are shown to be relevant in contemporary discussions about the structure of a surveillance state.
Zusammenfassung. Der Beitrag stellt die Frage nach der Verwendbarkeit von Aussagen über die Zukunft (Präkognition) im Polizeieinsatz. Im Anschluss an Stephen Spielbergs Science-Fiction-Film Minority Report wird die Funktionsweise einer fiktiven Einrichtung der Washingtoner Polizei analysiert, die versucht, Morde aufzuklären, bevor sie begangen werden. Die Aufklärungsresultate sollen dazu benutzt werden, den mutmaßlichen Täter jeweils an der Ausführung des vorhergesagten Mordes zu hindern (Prävention). Am Beispiel von Chief Anderton wird das damit verbundene Dilemma herausgearbeitet: Tötet er einen möglichen Mörder vor dem vorhergesagten Mord, so beseitigt er damit auch die Möglichkeit zu prüfen, ob dieser den Mord tatsächlich vollzogen hätte. Tötet er ihn nicht, so gefährdet er die Prävention. Diese Überlegungen erweisen sich als relevant für die gegenwärtigen Diskussionen über die Struktur des Überwachungsstaats.


Kommunikation mit der Zukunft — eine Nachsendung
Johannes Fehr, Collegium Helveticum, Universität und ETH Zürich
Summary
.  In the seventies several messages of greeting were sent to the interstellar space in the course of the NASA space flight program.  The declared purpose of these messages was to represent mankind to unknown extraterrestrial civilizations.  At the same time the messages were understood as communication with the future.  The astrophysicist Carl Sagan, one of the main initiators of these messages, has described them on several occasions and from different perspectives in relation with the so called SETI-project, last but not least in his science-fiction novel Contact, published in 1985.  Comparing Sagan’s various formulations, the article examines the concepts of future underlying the communication attempts described.
Zusammenfassung
.  In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden im Rahmen des Raumfahrtprogramms der NASA mehrere Grußbotschaften in Richtung interstellarer Raum versandt. Deren erklärtes Ziel war es, die Menschheit gegenüber unbekannten extraterrestrischen Zivilisationen zu repräsentieren. Von ihren Initianten wurden diese Grußbotschaften zugleich als Kommunikation mit der Zukunft verstanden. Der Astrophysiker Carl Sagan, welcher am Zustandekommen dieser Grußbotschaften maßgeblich beteiligt war, ist im Zusammenhang mit dem so genannten SETI-Projekt wiederholt und aus verschiedenen Perspektiven darauf eingegangen, nicht zuletzt in seinem 1985 erschienenen Science-Fiction-Roman Contact. Im Vergleich dieser verschiedenen Texte wird hier der Frage nachgegangen, welche Zukunftskonzepte den von Sagan beschriebenen Kommunikations-Versuchen zugrunde lagen.


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Letzte Änderung: 26.11.2016 10:12:00

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