Paul Michael Lützeler / Stephan K. Schindler (eds.)
Gegenwartsliteratur
Ein germanistisches Jahrbuch
A German Studies Yearbook

6/2007
Schwerpunkt: W.G. Sebald

Band 6/2007, XII, 294 Seiten
EUR 24,50
ISBN 978-3-86057-577-2


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Neue Seite 1 Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis/Table of Contents


I. Schwerpunkt: W.G. Sebald

  • Doren Wohlleben: Maske—Gesicht—Antlitz: Porträts bei W. G. Sebald in Bild und Text (abstract)

  • Claudia Öhlschläger: Medialität und Poetik des trompe-l'oeil: W. G. Sebald und Jan-Peter Tripp (abstract)

  • Richard Langston: Affective Affinities: Sebald and Kluge on Feeling History (abstract)

  • Ben Hutchinson: “Der Erzähler als Schutzengel”: W.G. Sebald’s Reading of Giorgio Bassani (abstract)

  • Elena Agazzi: Spuren von Johann Peter Hebel und Ernst Bloch: W. G. Sebalds Logis in einem Landhaus (abstract)

  • James P. Martin: Melancholic Wanderings: W.G. Sebald’s Die Ringe des Saturn (abstract)

  • Karen Remmler: The Shape of Remembering: W.G. Sebald’s Die Ringe des Saturn and Austerlitz (abstract)
  • Yahya Elsaghe: Das Kreuzworträtsel der Penelope: Zu W. G. Sebalds Austerlitz (abstract)

  • Peter O. Arnds: Dans la Salle des Pas Perdus: Wandering, Dwelling, and Myth in W. G. Sebald’s Austerlitz (abstract)

II. Einzelinterpretationen

  • Kristin T. Vander Lugt: “Necropolitics”: Reading the Revenant Body in Elfriede Jelinek’s Stecken, Stab und Stangl and Bambiland (abstract)
  • Kader Konuk: Taking on German and Turkish History: Emine Sevgi Özdamar’s Seltsame Sterne (abstract)

  • Oliver Ruf: Die exotische Schweiz: ‘Fremdheit’ bei Urs Widmer (abstract)

Book Reviews

  • Albrecht, Monika; Göttsche, Dirk, eds. Bachmann Handbuch: Leben-Werk-Wirkung. (Fatima Naqvi)

  • Albrecht, Monika; Göttsche, Dirk, eds. „Über die Zeit schreiben“ 3: Literatur- und kulturwissenschaftliche Essays zum Werk Ingeborg Bachmanns. (Heidi Schlipphacke)

  • Müller, Alexander:Das Gedicht als Engramm. Memoria und Imaginatio in der Poetik Durs Grünbeins. (Michael Braun)

  • Arnold, Heinz Ludwig, ed. Nicolas Born.(Arnd Bohm)

  • Calzoni, Raul. Walter Kempowski, W. G. Sebald e i tabù della memoria collettiva tedesca.(Simone Costagli)

  • Eigler, Friederike. Gedächtnis und Geschichte in Generationenromanen seit der Wende. (Stephan Schindler)

  • Kölbel, Martin hg. Ein Buch, ein Bekenntnis. Günter Grass’ Beim Häuten der Zwiebel. (Michael Braun)

  • Niehaus, Michael; Öhlschläger, Claudia, eds. W. G. Sebald. Politische Archäologie und melancholische Bastelei. (Heike Polster)

Editorische Notiz/Editorial Note



Doren Wohlleben
:
Maske—Gesicht—Antlitz: Porträts bei W. G. Sebald in Bild und Text 
W. G. Sebalds Erzählungen und Essays, die mit fotografierten, gemalten, beschriebenen und im Schreibakt ausgelöschten Gesichtern durchsetzt sind, lassen sich als "Porträtstudien" lesen, als der Versuch, dem Nicht-Darstellbaren ein Gesicht, eine literarische Maske zu verleihen. Sebalds Gesichtsbeschreibungen, ein "pathographisches Unternehmen", das Leiden nachzeichnet, korrelieren mit Geschichtsschreibungen, und der Akt des Porträtierens mit dem des Erinnerns und Erzählens. Diese Poetik des Porträts knüpft einerseits an den physiognomischen Diskurs an, subvertiert diesen aber andererseits und verweist auf die prinzipielle Unlesbarkeit von Gesichtern. Das Gesicht nimmt bald in postmodernem Gestus Züge eines dekonstruktivistischen Maskenspiels an, bald Züge eines nur im Kontext jüdischer Hermeneutik deutbaren Antlitzes. Stets sind Gesichter Orte, an denen sich Probleme der Erinnerung, Darstellung und Deutung kristallisieren.


Claudia Öhlschläger: Medialität und Poetik des trompe-l'oeil:W. G. Sebald und Jan-Peter Tripp
W.G. Sebalds ästhetische Prinzipien eines ´falschen´ Realismus werden zu Jan Peter Tripps trompe-l´oeil–Malerei ins Verhältnis gesetzt. Die Frage nach dem Status von Mimesis führt in beiden Fällen zu dem Befund, dass jeweils eine affektive Wahrnehmung von Wirklichkeit evoziert wird, mit der sich ethische Implikationen verbinden: Das beschädigte Leben findet sein Korrelat in einer Ästhetik der Abweichung, der Aberration. Ausgehend von Ernst Gombrichs These, dass ästhetische Illusion von der Projektionstätigkeit des Rezipienten abhängt, macht der Beitrag Victor Šklovskijs Begriff der „Verfremdung“ fruchtbar. Dieser Begriff dient der Beschreibung eines künstlerischen Verfahrens, das automatisierte Sichtweisen von Realität irritiert. Die Analyse der intermedialen Inszenierung von Verfremdung in Die Ringe des Saturn gibt Einblicke in Sebalds suggestive Öffnung jener „furchterregenden Tiefe“, von der die Dynamik der Oberfläche historischer Erscheinungen sich bestimmt zeigt.


Richard Langston: Affective Affinities: Sebald and Kluge on Feeling History
W.G. Sebald’s reverence for Alexander Kluge is unmistakable in his “Luftkrieg und Literatur” essay (1999). For Sebald, Kluge is Germany’s “aufgeklärtester aller Schriftsteller.” Kluge, too, has held Sebald in high esteem. Both authors assign a pivotal role to feeling in their explorations of Germany’s past. An ethically responsible and politically salient relationship to the past arises only when historical knowledge accommodates feelings of history as well as the history of feeling. In spite of his admiration for Kluge, Sebald does not, however, replicate Kluge’s poetics of affect. Through a close reading of Sebald’s “Dr. Henry Selwyn” in Die Ausgewanderten (1992), this essay demonstrates how Sebald appropriates Kluge’s mistrust of feelings and generates feelings from the horror of modernity’s disasters.


Ben Hutchinson: “Der Erzähler als Schutzengel”: W.G. Sebald’s Reading of Giorgio Bassani
When asked which writers had most influenced him, Sebald pointedly included the Italian realist Giorgio Bassani in the list. Indeed his own private library in the Deutsches Literaturarchiv in Marbach am Neckar contains six books by Bassani, filled with Sebald's own annotations and underlinings. This paper proposes to fill a gap in our understanding of Sebald’s major influences by examining his sustained reading of Bassani, and considering what inferences can subsequently be drawn about his own prose style and preoccupations. The pattern of Sebald’s annotations and underlinings seems to suggest a recurring interest in the “effect” of Realism, in the narrative tricks with which a sense of realism can be conveyed through authorial sleight-of-hand, culminating in the enigmatic phrase ‘Der Erzähler als Schutzengel’, which Sebald wrote in the margin of one of Bassani's books.


Elena  Agazzi: Spuren von Johann Peter Hebel und Ernst Bloch: W. G. Sebalds Logis in einem Landhaus
Sebalds Interesse an einer "Naturgeschichte der Zerstörung" wurde bislang vor allem mit den Überlegungen in Verbindung gebracht, die er in seinen Zürcher Vorlesungen  Luftkrieg und Literatur angestellt hatte. Dieser Beitrag soll das Blickfeld erweitern und den Einfluss von Johann Peter Hebels kosmischen Visionen und Ernst Blochs Theorien über die Dialektik zwischen Entfremdung und Verfremdung in die Betrachtung einbeziehen. Bei seiner Arbeit über das Verhältnis zwischen Realismus und Metaphysik hat Sebald in Logis in einem Landhaus eine Galerie von Schriftstellern der letzten drei Jahrhunderte geschaffen (Rousseau, Hebel, Keller, Mörike, Robert Walser). Sie werden als „Hellseher im Kleinen“ eingestuft, weil sie Katastrophen in ihrem Entstehen wahrnahmen und sich als Kulturschaffende vom Rande des Geschehens aus dem reaktionären Regime ihrer Zeit widersetzten.


James P. Martin: Melancholic Wanderings: W.G. Sebald’s Die Ringe des Saturn
All of Sebald’s literary works are linked by the presence of a semi-autobiographical narrator, who combines details from the real world of the author and his subjects with overtly fictional elements. Die Ringe des Saturn, subtitled Eine englische Wallfahrt, offers particular insight into the function of this self-stylized melancholic wanderer, because it is the author’s only work in which the main focus is the narrator’s journey and not the biographies of others. By examining the role of the emigrant perspective, memento mori, and self-reflexive moments in the author’s poetics, this analysis seeks to elucidate how the Sebaldian narrator presents the reader with a complex form of identification that offers an ultimately ethical view of walking, reading and interpreting.


Karen Remmler: The Shape of Remembering: W.G. Sebald’s Die Ringe des Saturn and Austerlitz
In W.G. Sebald’s Die Ringe des Saturn and Austerlitz, each narrator recalls a traumatic past, such as the Holocaust and other atrocities. Often, subjective memories are triggered by dream-like visions at railway stations (the Liverpool Street Station in London), or by the confusing contours of landscapes (the Eastern coast of Great Britain). Although specific places form the foundation for acts of remembering, the geometric shapes embedded in them serve as many-layered catalysts for exposing the tension between individual and monumentalized forms of cultural memory. Thus, the work of memory in Sebald’s writing is not only based on historical or literary references to specific locations, but also on the phenomenological underpinnings of spatial experience and perception.


Yahya  Elsaghe: Das Kreuzworträtsel der Penelope: Zu W. G. Sebalds Austerlitz
In der Mitte von Austerlitz wird ein Kreuzworträtsel gelöst. Das geschieht an einer für die erzählte Erinnerungsarbeit entscheidenden Stelle und auf damit analoge Weise. Dieses Kreuzworträtsel läßt sich als autoreferentielle Metapher für die Art lesen, wie Austerlitz die Schwierigkeiten konfrontiert, mit denen die jüdisch-deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts jede mimetisch-fiktionale Ästhetik überfordert. Das Kreuzworträtsel leistete in der angelsächsischen Postmoderne als Theoriemodell Ähnliches wie das Rhizom in der frankophonen: Es war Chiffre für ein offengehaltenes System. Darüber hinaus exponiert es mit seiner Schriftgebundenheit die wichtige Rolle, die der Buchstabe und das Alphabet als Ablageordnung in Austerlitz spielen. Es hilft so zu verstehen, warum hier viele Orts-und Personennamen dieselbe Initiale aufweisen.


Peter O. Arnds: Dans la Salle des Pas Perdus: Wandering, Dwelling, and Myth in W. G. Sebald’s Austerlitz
With a focus on wandering and dwelling, this article is a cross-reading of Sebald’s “Austerlitz” (2001) and Heidegger’s 1942/43 “Parmenides” lectures, in conjunction with Deleuze/Guattari, Freud, and Nietzsche. London’s buried gravesites; the straight lines of buildings mirroring Germany’s oblivion of the past; a concentration camp camouflaged as a spa town; and a clinic that hints at the secrets of the Nazi killing apparatus—these are only some of the forms of "lethe" reflecting Austerlitz’s own loss of memory. In evoking Nietzsche’s Dionysus, as well as Hölderlin’s Hyperion, Austerlitz’s wandering ultimately leads him to "aletheia," revealing a sinister version of Heidegger’s ideals of “dwelling in myth.”


Kristin T. Vander Lugt: “Necropolitics”: Reading the Revenant Body in Elfriede Jelinek’s Stecken, Stab und Stangl and Bambiland
Elfriede Jelinek’s post-1995 oeuvre is largely underwritten by a programmatic “necropolitics,” a practice exemplified in two of her plays. Jelinek uses the ambivalent status of the “undead” body—flesh suspended in ideological discourse—to counteract the increasing dematerialization of bodies in the media and in certain strands of postmodernism. At the same time, she rejects the “politics of life” that have emerged in part as a reaction to postmodernism. Beyond interpretations that identify Jelinek’s characters as pure linguistic constructs, with only the potential for materiality as enacted in the bodies of actors on stage, this essay considers how materiality functions within the texts themselves and, in the case of Bambiland, in cyberspace, where the complex hyperlinking of images embedded in the online text reestablishes the presence of the dead within a virtual landscape.


Kader Konuk: Taking on German and Turkish History: Emine Sevgi Özdamar’s Seltsame Sterne
In recent years Turkish-Germans have taken on the responsibility of remembering the Holocaust. This shift provokes an important question: What role(s) do they assume when they “remember”? This essay analyzes how Turkish figures align themselves with, stand in for, and reenact Jewish figures in Emine Sevgi Özdamar’s novel, Seltsame Sterne starren zur Erde. Going beyond an analysis of this novel, the essay suggests that German forms of Vergangenheitsbewältigung—the process of coming to terms with the past—enter the narratives of Turkish diasporic writers such as Zafer Şenocak, Kemal Yalçın, and Doğan Akhanlı. At this historical juncture, the transnationalization of Holocaust remembrance increasingly affects the way in which the Armenian genocide is processed in the Turkish diaspora.


Oliver Ruf: Die exotische Schweiz: ‘Fremdheit’ bei Urs Widmer
Es werden unterschiedliche Facetten von ‘Fremdheit’ in Urs Widmers Werken untersucht. Seinen Romanen Im Kongo, Der Geliebte der Mutter und Das Buch des Vaters sind Figuren des ‘Fremden’ eingeschrieben. Die Formierung des ‘Fremden’ wird über die thematische Art und Weise der Darstellung hinaus mit Blick auf die Konstellation von ‘Eigenem’ und ‘Anderem’ reflektiert. Widmers Werke stellen das phantasierte ‘Fremde’ des eigenen Selbst aus (hier vor allem einer exotischen Schweiz). Sie erörtern eine Wesensbestimmung des ‘Fremden’ in sich überlagernden kulturräumlichen Dimensionen und ermöglichen eine literarische Phänomenologie ‘eigener Differenz’. Im Rekurs auf Positionen sowohl postkolonialer Kulturtheorie (Homi K. Bhabha) wie auch poststrukturalistischer Identitäts- und Alteritätskonstruktion (Julia Kristeva) zeigt der Beitrag, inwiefern Widmer solche Theoreme implizit aufgreift, überdenkt und unterläuft.


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Letzte Änderung: 26.11.2016 10:12:00

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