Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis/Table of Contents:
I. Schwerpunkt:
Elfriede Jelinek
-
Imke Meyer: Kulturkritik und
Postmoderne: Elfriede Jelineks früher
Roman Michael (abstract)
-
Claudia Liebrand: Traditionsbezüge:
Canetti, Kafka und Elfriede Jelineks
Roman Die Klavierspielerin (abstract)
-
Nele Hempel: Geschlechterdifferenz: Elfriede Jelineks
Drama Krankheit oder Moderne Frauen
(abstract)
-
Fatima Naqvi: Elfriede
Jelinek’s Post-Dramatic Stress Disorder:
Analysis
of a Programmatic Aggression (abstract)
-
Gabriele Dürbeck: Ideologiekritik im
postdramatischen Theater: Thirza Brunckens Uraufführung von Elfriede Jelineks Stecken,
Stab und Stangl (abstract)
-
Steve Dowden: Ethical
Style: Susan
Sontag in Sarajevo, Elfriede Jelinek in Vienna (abstract)
-
Andreas Blödorn: Medialisierung des Krieges: Mit Susan Sontag in Elfriede Jelineks Bambiland
(abstract)
-
Bettina Brandt: The
Poetics and Tropes of Translation:
Elfriede
Jelinek’s Afterlife (abstract)
II. Tendenzen
III.
Einzelinterpretationen
-
Thomas Borgstedt: Wunschwelten: Judith
Hermann und die Neuromantik
der Gegenwart (abstract)
-
Anke S. Biendarra: Globalization,
Travel, and Identity:
Judith
Hermann and Gregor Hens (abstract)
-
Anne Fuchs: After-Images
of History:
Thomas Medicus’s In
den Augen meines Großvaters (abstract)
Rezensionen/Book
Reviews
-
Adelson, Leslie A. The
Turkish Turn in Contemporary German Literature: Toward a New Critical Grammar of
Migration (Claudia
Breger)
- Arnason, Johann P., und David Roberts. Elias Canetti’s Counter-Image of Society: Crowds, Power,
Transformation
(Berhard Fetz)
-
Bartram, Graham, Ed.
The
Cambridge Companion to the Modern German Novel
(Richard Langston)
-
Inauen, Yasmine.
Dramaturgie der Erinnerung. Geschichte,
Gedächtnis, Körper bei Heiner Müller
(Helen Fehervary)
-
Jansen, Georg. Prinzip und Prozess Auslöschung.
Intertextuelle Destruktion und Konstitution des Romans bei Thomas Bernhard
(Barbara Mariacher)
-
Lorenz, Matthias N.
„Auschwitz drängt uns auf einen
Fleck“. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser
(Alexander Mathäs)
-
Lützeler, Paul
Michael. Postmoderne und
postkoloniale deutschsprachige Literatur. Diskurs, Analyse, Kritik (David
Roberts)
-
Magenau, Jörg
Martin Walser. Eine Biographie (Michael
Braun)
-
Razbojnikova-Frateva, Maja. Fiktionale
Frauenbiographien in der Gegenwartsliteratur: Das Reden vom Geschlecht im Text
hinter dem Text (Stephan K. Schindler)
-
Rigler, Christine. Ich und die Medien. Neue
Literatur von Frauen (Anke S. Biendarra)
-
Taberner, Stuart.
German Literature of the 1990s and Beyond.
Normalization and the Berlin Republic (Sabine von Dirke)
-
Weninger, Robert.
Streitbare Literaten. Kontroversen und Eklats in der deutschen Literatur von
Adorno bis Walser (Michael Böhler)
Editorische
Notiz/Editorial Note.
Imke Meyer: Kulturkritik und
Postmoderne: Elfriede Jelineks früher
Roman Michael
In Jelineks Roman Michael.
Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft (1972) gehen Argumentationen
der Frankfurter Schule und ein emanzipatorischer Erzählanspruch eine
postmoderne Verbindung ein. Der Text ist nicht durch den Widerspruch zwischen
postmoderner Ästhetik und aufklärerischer Moderne belastet, weil er vor
Habermas’ Adorno-Preisrede von 1980 mit ihrer Ablehnung der Postmoderne
entstand. Jelineks Roman entwirft das Wunschbild eines mündigen und aufgeklärten
Individuums, das die Produkte der Kulturindustrie konsumieren kann, ohne sich
von ihnen manipulieren zu lassen. Dieses Wunschbild antizipiert jenen
Konsumenten massenmedialer Produkte, der sich damals durch die zeitgenössische
nordamerikanische Medienlandschaft bewegte. Im deutschen Sprachraum wird sich
dieser Konsument etablieren, wenn die Wirkung der Habermas-Zäsur abklingt und
sich das Verhältnis zur Postmoderne entspannt.
Claudia Liebrand: Traditionsbezüge:
Canetti, Kafka und Elfriede Jelineks
Roman Die Klavierspielerin
Elfriede Jelinek ist eine Meisterin der Zitation und Allusion. Ihre provozierenden Texte stellen Bezüge zu unterschiedlichsten
literarischen Traditionen her, die spielerisch aufgerufen und durchquert,
parodiert und kontrafaziert werden. Der Aufsatz nimmt einen der — von der
Forschung bislang nicht fokussierten — Traditionsbezüge
in den Blick und führt einen prominenten Text des Œuvres, den Roman Die
Klavierspielerin aus dem Jahr 1983, zurück auf die Klassische Moderne.
Gelesen wird das Buch als literarisches Projekt, das Elias Canettis Roman Die Blendung, den ersten Teil einer geplanten "Comédie Humaine
an Irren", fortsetzt und dessen Ende Franz Kafkas Romanfragment Der
Proceß transkribiert.
Nele Hempel:
Geschlechterdifferenz: Elfriede Jelineks
Drama Krankheit oder Moderne Frauen
Die im westlichen Kulturkreis auf ihren Körper und seine
Reproduktionsfähigkeit reduzierte Frau negiert in Elfriede Jelineks 1987
uraufgeführtem Stück Krankheit oder Moderne Frauen ihren “natürlichen”
weiblichen Körper: Die Protagonistinnen sind zunächst Vampirinnen, am Ende
wachsen sie als monströs-groteskes Doppelgeschöpf zusammen. Die fiktionale
Dissolution der Körperlichkeit als Voraussetzung weiblicher Selbstbestimmung
und die faktische Unmöglichkeit, außerhalb des materiellen,
geschlechtskodierten Körpers wahrgenommen zu werden, stellen hier das zentrale
Dilemma dar. Das Konzept feministischer Positionalität und interdisziplinäre
Ansätze zur Politisierung des Körpers lassen die Darstellung der
Geschlechterdifferenz in Jelineks avantgardistischem Theatertext verständlich
werden.
Fatima Naqvi: Elfriede
Jelinek’s Post-Dramatic Stress Disorder:
Analysis
of a Programmatic Aggression
Elfriede
Jelinek's post-dramatic theater, which takes leave of conventional plot lines,
dramatis personae, and mimetic identification, is an ambivalent undertaking. She
employs an “aesthetic of risk” that foregrounds the position of the author.
The author speaks both as aggressor, imitating the dominant discourse and
bringing out its absurdities, and as victim of this discourse. In her
programmatic texts “Ich möchte seicht sein" and “Sinn egal. Körper
zwecklos,” Jelinek does away with the mirroring of consciousness without
jettisoning affective involvement. She denigrates traditional actors at the
expense of the director and of the author, putting the audience in an
epistemologically and ontologically untenable position. Jelinek's
“post-dramatic stress disorder” finds its clearest expression in her 1998
play Ein Sportstück.
Gabriele Dürbeck: Ideologiekritik im
postdramatischen Theater: Thirza Brunckens Uraufführung von Elfriede Jelineks Stecken,
Stab und Stangl
Der Beitrag setzt sich mit der These auseinander, dass die
Übermittlung der ideologiekritischen Dimension in Jelineks dramatischem Werk an
die diskursive Dominanz des Textes gebunden sei. Am Beispiel von Stecken,
Stab und Stangl wird gezeigt, inwiefern die artifiziell montierten
Textassemblagen aus Täter- und Opfersprache als Träger eines performativen
Prozesses ohne eindeutige Bedeutungszuweisung der Zeichen fungieren und dem
postdramatischen Theater zuzurechnen sind. Die detaillierte Analyse der Uraufführung
des Stücks erweist, dass der kritische Umgang mit der Textvorlage sowie die
eigenständige Verwendung anderer theatraler Elemente (Bühne, Requisiten,
Musik, darstellerische Ausdrucksmittel) die ideologiekritische Dimension des
Textes zu konkretisieren vermag. Sie macht damit die latente Gewalttätigkeit
eines Alltagsbewusstseins sinnlich erfahrbar, in dem sich Rassismus, Verdrängung
und Gemütlichkeit vermengen.
Steve Dowden: Ethical
Style:
Susan
Sontag in Sarajevo, Elfriede Jelinek in Vienna
Certain
of Susan Sontag’s basic aesthetic principles help to shed light on Elfriede
Jelinek’s achievement. Above all, the two writers share a common emphasis on
the relationship between form and ethics. For both of them aesthetic form, not
an edifying “message,” gives art its ethical force. Some of Jelinek’s
narrative rhetoric is explored in order to show how she invests form with the
function of making the reader an active participant of artwork. This does not
signify emotional involvement with the protagonist, since Jelinek repeatedly
thwarts any sentimental moralizing in her readers. A tension between voyeurism
and repulsion constantly leads the reader back to the surface. The novel turns
out to be not a stable text but an unstable, challenging activity or performance.
Andreas Blödorn: Medialisierung des
Krieges: Mit Susan Sontag in
Elfriede Jelineks Bambiland
In Elfriede Jelineks Bambiland
nimmt die Erzählinstanz als ‘eingebetteter Beobachter’ die medial
vermittelte und konstruierte Wirklichkeit des Irakkrieges in den Blick. Der
Beitrag positioniert Jelineks Medienkritik im Lichte ihrer Sprach-
als Machtanalyse. Die Frage nach dem Realitätsgrad der Fernsehbilder
wirft dabei nicht nur die Frage nach dem sprachlichen und literarischen Umgang
mit den Repräsentationen des Krieges auf, sondern unterminiert zugleich die
Grenzen zwischen realer und medialer Wirklichkeit, zwischen Tätern und Opfern,
zwischen Akteuren und Zuschauern. Im Rekurs auf Susan Sontags “Regarding the
pain of Others” zeigt sich die Involviertheit des Bildbetrachters in das reale
Leiden anderer. Im Fokus steht damit ein für Jelineks Dichtung zentrales
poetologisches Problem: ob und wie der Macht der Bilder und der Sprache des
Krieges literarisch zu entkommen ist.
Bettina Brandt: The
Poetics and Tropes of Translation:
Elfriede
Jelinek’s Afterlife
An
important function of translation has always been to promote specific regional,
local, and national identities. Yet Elfriede Jelinek, whose work has been
translated into more than forty languages, announced shortly after having being
awarded the Nobel Prize in Literature that her writings are effectively
untranslatable. This article questions the use of translation as trope and, more
importantly, the tropes of translation in order to ponder what must be abandoned
and what can be carried across in the process of translation. To do so, it
focuses on a few sample translations of a passage of Jelinek's most frequently
translated novel, Die Klavierspielerin. Finally, it argues that in the
process of translation, meaning is not only carried over and dislocated but is
also displaced in unpredictable ways.
Günter Blamberger: Poetik der
Unentschiedenheit: Zum Beispiel Judith
Hermanns Prosa
Judith Hermanns Erzählbände Sommerhaus, später und Nichts
als Gespenster lassen sich als metahistory
verstehen, als Reflexionsmedium eines Krisenbewußtseins der jüngsten deutschen
Autorengeneration um 2000, die Deutschland als einen Wartesaal ohne Perspektive
erlebt. Die Reaktion darauf heißt Tristesse Royale als zeitgemäßer Ausdruck der Melancholie, ihr
korrespondiert bei Judith Hermann eine Poetik der Unentschiedenheit. Sie
resultiert aus der Detemporalisierung und Entdifferenzierung des literarischen
Feldes nach der Wiedervereinigung. Stillstand herrscht im Fortschritt, es fehlt
der Generationenkonflikt als Katalysator der eigenen Kreativität. So entwirft
Judith Hermann Bilder einer culture-mort, in
der die vergangenen Stimmen wie Gespenster in der Gegenwart der eigenen Stimme
wiederkehren, ihre Autorschaft ist neohistoristische Sammelkunst, ihre Poetik
wird bestimmt von den Verfahren des Re-Make
und Re-Mix, von der Aufhebung des
Richtungssinns in den Zeit- und Raumkonzeptionen und in der Narratologie.
Thomas Borgstedt: Wunschwelten: Judith
Hermann und die Neuromantik
der Gegenwart
Die Kunst der Gegenwart kennzeichnet ein neues Interesse an
romantisierenden Phantasie- und Wunschwelten. Deren imaginäres Potential wird
stark gemacht, um Defizite der heutigen individualisierten Gesellschaft
aufzuzeigen. Eine solche Aktualisierung der Romantik ist auch für die Erzählungen
Judith Hermanns besonders charakteristisch. Dass sie damit literarisch nicht
allein steht, wird durch Beispiele weiterer zeitgenössischer Erzähltexte
illustriert. Hermanns Prosa setzt Verfahren erzählerischer Rahmung ein, um die
problematische Klischeehaftigkeit ihrer romantisierenden Motive zu kennzeichnen
und dadurch zugleich aufzufangen. In ihrer Erzählung “Rote Korallen”
verteidigt die Autorin ihr subjektbezogenes Schreiben gegen den in den
Debatten der neunziger Jahre erhobenen Vorwurf der
Geschichtsvergessenheit einer vermeintlich unbelasteten Nachwendeliteratur.
Anke S. Biendarra: Globalization,
Travel, and Identity:
Judith
Hermann and Gregor Hens
The
interplay of globalization and identity politics in recent travel narratives is
the focus of this essay. The article employs the concept of cultural
deterritorialization to analyze how texts by Judith Hermann (Nichts
als Gespenster) and Gregor Hens (Transfer
Lounge and
Matta verlässt seine Kinder) problematize post-national identity
constructions. Both authors depict a homogenized, Westernized world inhabited by
global tourists. Their conspicuous sense of homelessness prevents an anchoring
in a local environment and leads to the fissure of stable identities and
functioning social networks. While this literary rendering of deterritorialized,
global subjects is a criticism of the alienating forces of globalization, it
also needs to be recognized as a form of creative engagement that speaks for its
aesthetic potential.
Anne Fuchs: After-Images
of History:
Thomas Medicus’s In
den Augen meines Großvaters
The
landscape discourse in Thomas Medicus’s In
den Augen meines Großvaters is analyzed here. The argument is presented
that this novel is a particularly interesting example of the contemporary German
family narrative because it reintroduces the idea that landscape is a prime
vessel for the transmission of cultural memory. The article examines how Medicus
switches between landscape discourse and territorial discourse to explore the
epistemological limits of the idea of postmemory. While many contemporary family
narratives embrace the poetic license of postmemorial discourse, Medicus submits
such imaginative reinvention of the past to critical analysis. By projecting
landscape images onto the territorial map of the National Socialist colonization
of the East, he exposes the ideological connections between landscape, Heimat,
and territory.
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